Wir betrachten die Russland-Ukraine-Krise im Gesamten und werfen einen Blick darauf, wie sich die Situation in den kommenden Wochen und Monaten entwickeln könnte.
Nachdem Russland am 22. Februar die abtrünnigen Republiken Luhansk und Donezk anerkannt hat und am 24. Februar in die Ukraine einmarschiert ist, haben westliche Regierungen wie die USA, das Vereinigte Königreich, Kanada, Japan, Australien und die EU rasch mit Sanktionen reagiert. Trotz der verschärften Rhetorik waren diese Maßnahmen, auf die wir in unseren Updates zur Krise eingehen, zunächst relativ maßvoll, wurden aber zunehmend schärfer.
Obwohl die Ukraine weiterhin Widerstand leistet, macht Putin keine Anstalten, sich zurückzuziehen, was Zweifel aufkommen lässt, ob die Sanktionen schnell genug Wirkung zeigen werden, um im Kampf um die Ukraine einen Unterschied zu machen. Russland wird wahrscheinlich bald mit eigenen wirtschaftlichen Gegenmaßnahmen reagieren, während es längerfristig durch seine Isolation immer näher an China heranrückt und mit einem „alternativen“ Finanzsystem experimentiert, das die Wirkung der westlichen Maßnahmen untergraben könnte. Das Ergebnis dürfte daher ein mittel- bis langfristiger wirtschaftlicher und finanzieller Zermürbungskrieg zwischen Russland und dem Westen sein, der ein klares Verständnis der Sanktionsregelungen für potenziell gefährdete Unternehmen immer wichtiger macht.
Frühere Sanktionen gegen Russland
Wie in unserem Bericht zu Sanktionen beleuchtet, haben westliche Regierungen in den letzten zehn Jahren immer mehr Sanktionen gegen Russland verhängt, ausgelöst durch die wiederholten Verstöße des Putin-Regimes gegen das Völkerrecht und die Unterdrückung von Dissidenten im eigenen Land. Die USA, die EU, das Vereinigte Königreich, Kanada und weitere Länder haben Reiseverbote gegen Einzelpersonen im Staatsapparat verhängt, die sich missbräuchlichen Verhaltens schuldhaft gemacht haben, und ihre Vermögenswerte eingefroren. Gleiches galt für die politische und wirtschaftliche Elite um Putin, die so genannten Oligarchen. Darüber hinaus haben sie kommerzielle und finanzielle Interaktionen mit mehreren großen, staatlich unterstützten Finanzinstituten und wichtigen Unternehmen in Schlüsselindustrien in Russland verboten, insbesondere in den Bereichen Verteidigung, Technik und Energie.
Die aktuelle Krise
Seit Beginn der Krise wurden von westlichen Regierungen immer umfassendere Maßnahmen angekündigt. Aufgrund der unterschiedlichen Ausgangspunkte der bereits bestehenden Russland-Sanktionsregelungen der einzelnen Länder sowie der unterschiedlichen wirtschaftlichen und finanziellen Verbindungen zu Russland waren diese jedoch nicht immer zu 100 % einheitlich. Weitgehend sind die Regierungen aber dennoch nach einem koordinierten Muster vorgegangen, das sich mit den bisherigen Maßnahmen deckt, allerdings in größerem Umfang und mit anderen Zielen:
- Täter: Hochrangige militärische Befehlshaber, die an der Organisation und Durchführung der Invasion beteiligt waren, sowie Mitglieder der russischen Duma, die die Anerkennung der abtrünnigen Republiken unterstützten.
- Eliten: Putin nahestehende Wirtschaftsführer wie Sergej Iwanow, Igor Setschin, Kiril Schamalow, die Brüder Rotenberg. Sowohl Präsident Putin als auch der russische Außenminister Sergej Lawrow wurden kürzlich von den USA, Kanada, der EU und dem Vereinigten Königreich sanktioniert.
- Russische Finanzinstitute und -systeme: Sanktionierung der größten Geschäftsbanken in Russland wie der staatlichen Sberbank und der VTB sowie des Handels mit russischen Staatsanleihen und russische Aktivitäten auf westlichen Kapitalmärkten. Die USA, das Vereinigte Königreich und die EU haben nun auch Geschäfte mit der russischen Zentralbank, dem Finanzministerium und dem Vermögensfonds verboten, und es wurde vereinbart, wichtige russische Finanzinstitute aus dem internationalen Zahlungsverkehrssystem SWIFT auszuschließen.
- Strategisch wichtige Branchen: Russische Unternehmen in den Bereichen Militär und Logistik, Technologie und Energie. Bemerkenswert ist, dass Deutschland die Zertifizierung der Gaspipeline Nord Stream 2 verschoben hat.
Stufenweise Reaktion
Einige Experten zeigten sich zunächst enttäuscht über das bisherige Vorgehen der westlichen Regierungen. Tom Keatinge, Direktor des Zentrums für Finanzkriminalität und Sicherheitsstudien am Royal United Services Institute (RUSI), einem bedeutenden Think Tank für Sicherheitsfragen, kommentierte am 23. Februar, dass die ersten Maßnahmen des Vereinigten Königreichs wahrscheinlich so effektiv seien, wie sich mit einer Zwille in ein Gefecht mit Schusswaffen zu stürzen.
Das Vereinigte Königreich und andere westliche Regierungen haben ihre Maßnahmen seither sowohl in der Breite als auch in der Tiefe erweitert. Es wird in der Folge erwartet, dass die Maßnahmen gegen die russische Zentralbank und der Ausschluss wichtiger Finanzinstitute aus SWIFT erhebliche Auswirkungen zeigen werden. Zunächst einmal verliert Russland den Zugriff auf rund 40 % seiner in den Sanktionsländern gehaltenen Devisenreserven in Gesamthöhe von 630 Milliarden USD-Dollar, die ansonsten dazu dienen könnten, die Auswirkungen der westlichen Maßnahmen abzumildern – beispielsweise durch die Stützung des Rubelkurses. Zweitens wird der teilweise Ausschluss aus SWIFT kurzfristig Russlands Fähigkeit einschränken, den internationalen Öl- und Gashandel zu verwalten, der zu einem großen Teil über die großen Institutionen abgewickelt wird, die von den SWIFT-Maßnahmen betroffen sind.
Allerdings gibt es für Russland einige Ausweichmöglichkeiten, um auf diese Initiativen zu reagieren. Ein beträchtlicher Teil seiner Reserven befindet sich außerhalb des Geltungsbereichs der westlichen Sanktionen – 13 % beispielsweise in China – was Russland einige begrenzte Möglichkeiten für Freihandelsgeschäfte zur Stützung seiner Währung gibt. Die Tatsache, dass das Land nicht vollständig aus SWIFT ausgeschlossen wurde, wird es Russland auch ermöglichen, wichtige Handelsgeschäfte über kleinere Finanzinstitute abzuwickeln, die weiterhin Teil des Zahlungssystems sind. All dies ist natürlich nicht ideal und wird der russischen Gesellschaft zweifelsohne massive finanzielle und wirtschaftliche Probleme bereiten. Die entscheidende Frage wird sein, ob dies ausreichen kann, um Putin zu einem Kurswechsel zu bewegen.
Die unmittelbare Zukunft
Vieles wird natürlich von den Absichten Putins abhängen. Es ist möglich, dass sich die russischen Streitkräfte zurückziehen in Folge der Verluste, die ihnen das ukrainische Militär in seinem entschlossenen Widerstand zugesetzt hat. Die Gespräche zwischen russischen und ukrainischen Delegationen könnten dazu führen, dass die Ukraine einige kleinere Zugeständnisse macht, z. B. in Bezug auf den Status der abtrünnigen Republiken, damit Putin sein Gesicht wahren kann. In diesem Fall könnten einige der strengeren finanziellen Maßnahmen des Westens bald wieder aufgehoben werden, um Russland zur Einhaltung einer etwaigen Vereinbarung zu bewegen.
Eine solche Entwicklung erscheint jedoch äußerst unwahrscheinlich, da Präsident Putin in seinen jüngsten öffentlichen Äußerungen erklärt hat, er wolle die Ukraine dauerhaft in den Einflussbereich Russlands bringen. Einen jetzigen Rückzug ohne die Zusage der Ukraine, dass sie keinen Beitritt zur NATO oder zur EU anstreben wird, wird er nur schwer als etwas anderes als einen Misserfolg verkaufen können. Es scheint daher wahrscheinlich, dass Russland seine militärischen Aktionen fortsetzen wird, zumal sich Putin in der Vergangenheit von den Auswirkungen der Sanktionen nicht hat beeindrucken lassen.
Raum für Eskalation
Was bedeutet das für die westlichen Regierungen? Angesichts der anhaltenden russischen Kriegshandlungen (und des ukrainischen Widerstands) werden die westlichen Regierungen ihre Maßnahmen weiter verschärfen, indem sie immer mehr involvierte Staatsbeamte, Mitglieder der politischen und wirtschaftlichen Elite, Banken und Großindustrien – vor allem den Öl- und Gassektor, der bisher relativ glimpflich davongekommen ist – mit Sanktionen belegen und den Zugang zum internationalen Finanzsystem weiter einschränken. Dies wird die Benennung weiterer, sukzessive kleinerer Finanzinstitute in Russland als Sanktionsziele bedeuten sowie neue Phasen bei der Ausgrenzung aus SWIFT. Die westlichen Regierungen werden zudem aktiv auf andere Staaten einwirken, ähnliche Maßnahmen zu ergreifen, um Schlupflöcher zu schließen. Wie jedoch bereits erwähnt, werden die derzeitigen westlichen Maßnahmen, selbst wenn sie im Laufe der Zeit verschärft werden, Russland immer noch einen gewissen Handlungsspielraum lassen, vor allem wenn China, Indien und andere große Länder bewusst neutral bleiben und bereit sind, mit der russischen Wirtschaft zu interagieren. Wie der Iran und Nordkorea gezeigt haben, können sich autoritäre Regime auf unbestimmte Zeit über westliche Standards hinwegsetzen, wenn sie bereit sind, ihr Volk leiden zu lassen.
Gegenmaßnahmen und die Option China
Sollte der Konflikt weitergehen, wird Russland mit eigenen wirtschaftlichen und finanziellen Gegenmaßnahmen auf die westlichen Sanktionen reagieren. Laut Russia Today vom 25. Februar 2022 sagte Valentina Matviyenko, die Vorsitzende des russischen Senats, dass ein russisches Sanktionspaket auf westliche „Schwachstellen“ abzielen, aber weder westliche Maßnahmen widerspiegeln noch Beschränkungen für Gasexporte beinhalten würde. Ob diese Position im Falle eines langwierigen Konflikts Bestand haben kann, erscheint jedoch zweifelhaft. Wenn Präsident Putin bereit ist, westlichen Ländern mit nuklearer Vergeltung zu drohen, ist es wahrscheinlich, dass er auch bereit ist, Gas als Waffe gegen westeuropäische Länder einzusetzen, die nach wie vor in hohem Maße von russischen Lieferungen abhängig sind.
Eine weitere Auswirkung der westlichen Reaktion auf den Konflikt wird darin bestehen, dass Russland immer größere Überschneidungen mit der wirtschaftlichen Sphäre Chinas aufweist. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind bereits eng, und China hat die westlichen Sanktionen gegen Russland als unangemessen verurteilt. Wie bereits angemerkt, wird sich Russland vermutlich China zuwenden, um die Auswirkungen der Sanktionen abzumildern, zunächst durch den Zugriff auf seine Devisenreserven in China, aber möglicherweise auch durch die Nutzung von Chinas Konkurrenzsystem zu SWIFT, dem Cross-Border Interbank Payment System (CIPS), bei dem Zahlungen in Yuan abgewickelt werden. Angesichts der grundsätzlichen Abneigung beider Länder gegen die westliche Wirtschaftspolitik dürfte die derzeitige Krise den Spielraum für eine russisch-chinesische Zusammenarbeit erweitern, die sich letztendlich zu einem „parallelen“ Finanzsystem entwickeln könnte. Sollte dies der Fall sein, würde dies natürlich die Fähigkeit westlicher Regierungen stark beeinträchtigen, das Verhalten von Staaten zu beeinflussen, die dem alternativen System angehören. Allerdings ist CIPS bei der Übermittlung von Nachrichten derzeit noch von SWIFT abhängig, was seinen Wert für Russland einschränkt, und es ist unwahrscheinlich, dass China, das eine wichtige Wirtschaftsbeziehung zu den USA unterhält, übereilt auf die Schaffung eines wirklich „alternativen“ Finanzsystems drängen wird. Dennoch bleibt dies eine langfristig realistische Möglichkeit, die Unternehmen mit entsprechenden Geschäftsbeziehungen im Auge behalten sollten.
Es liegen schwierige Jahre vor uns
Insgesamt deutet das derzeitige Bild auf ein problematisches Jahr – wenn nicht sogar Jahre – für Unternehmen hin, die mit potenziellen Sanktionsrisiken gegenüber Russland zu tun haben. Die westlichen Sanktionen werden schrittweise ausgeweitet, solange russische Streitkräfte in der Ukraine aktiv sind, und wahrscheinlich auch nach dem Ende des „offiziellen“ Konflikts. Die jüngsten Ereignisse haben die Haltung der westlichen Regierungen gegenüber Putin grundlegend verändert; es ist schwer vorstellbar, dass sich die Beziehungen unter seiner Führung jemals wieder verbessern werden. Wenn Unternehmen diese Risiken bewältigen wollen, müssen sie daher mit umfassenden, zuverlässigen und vor allem aktuellen Informationen vorbereitet sein.
Ursprünglich veröffentlicht 09 Mai 2022, aktualisiert am 24 August 2022
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